"Zwischen Urzustand und Zirkusrund" (Baal: die tageszeitung. 11. 4. 1992) bewegt sich das darauffolgende Stück der RA.M.M.-Truppe: "BESTIA PIGRA". Der Bühnenraum ist amphitheaterähnlich als Zirkusarena gestaltet, in der gnadenloses "Fressen und Gefressenwerden als Show" (Martin Morgner: Theater der Zeit Nr 12, 1991. S 47) inszeniert wird. 6 nackte Menschentiere werden aus ihren Metallkäfigen gelassen, um sich brutalen Dressur-Nummern zu unterziehen. Ein peitschenknallender Transvestit treibt als Conferencier die Tiere durch die Manege, verspricht eine flotte, aufregende Show zum Tusch des Zirkusorchesters und inszeniert eine brutale Exekutionszeremonie. Grausames Zerfleischen und Abschlachten wird als sensationelle Darbietung gezeigt. Ein schweiß-, feuer- und bluttriefendes Massaker beginnt. Ein Tier nach dem anderen wird erschossen und durch die Arena geschleift. Dazwischen immer wieder die auffordernde und beifallheischende Stimme des Dompteurs: "the show must go on, my friends... the excitement continues..." Lärmend fahren skurrile Maschinen im Zirkusrund und ziehen die leblosen Kadaver an Kranarmen hoch. Am Ende der Show sind alle Tiere tot. An Armen und Beinen in Ketten gelegt, hängen ihre Leichen wie rohes Fleisch an hochgezogenen, brennenden Stangen. Schlachthaus-Atmosphäre: "Gladiatoren-Rom meets Shakespeare".(Jan Schulz-Ojala: Der Tagesspiegel. 6. 120. 1091. S. 18)
Sarkastischer Zynismus als brutale Anklage gegen eine Massenmedien-Industrie, deren permanentes Trivial-Entertainment in Verbindung mit der Produktion und Befriedigung übersteigerter Sensationsgeilheit über Leichen geht. Außerdem eine scharfe Attacke gegen die Haltung des passiv Kunst, Kultur und Konserve Konsumierenden, gegen ein voyeuristisches Theaterpublikum:
"Eine Raubtiernummer mit dem Publikum: die Akteure öffnen der Schaulust den blutrünstigen Rachen und halten ihren Kopf, ja ihren ganzen physisch und psychisch unbedeckten Corpus in das übelriechende schlingsüchtige Tief der lüsternen Mäuler. Der Zivilisation, die so gern vom Sessel aus die Katastrophe verfolgt, ist die gute Laune gänzlich aus der Visage gerissen. Sie wird in ihrer Perversion gnadenlos gestellt, erscheint nunmehr als grober, ekelhafter, gefährlicher Voyeurismus, der tötet, indem er hinschaut, der tödlich erniedrigt, indem er immer und beständig die Sensation verlangt und geifernd die noch nicht dagewesene Zugabe einfordert." (baal: die tageszeitung. 11. 4. 1992, S. 36)